Europa/Italien/Reiseziele

Wenigstens W-LAN: Hostelsuche in Palermo

Zwielichte Treffpunkte, Kakerlaken und verschlossene Türen: Wie ich täglich auszog, das perfekte Hostel in Palermo/ Sizilien zu finden Foto: Denis Bocquet (CC BY 2.0)

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Vielleicht ist es mein schlechtes Karma. Mal wieder. Was muss ich auch so ein Angeber sein, manchmal? „Morgen um diese Zeit bin ich in Italien“, erzähle ich allen, die es nicht hören wollen. „Mein Zimmer ist genau 100 Meter vom Meer entfernt – während du im Büro sitzt und auf deinen Computer starrst.“

Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Und meiner kommt am Abend vor dem Abflug. „Wir haben ein Problem mit unserem IMG_2425Hostel“, schreibt mir Salvo per Mail.  Es ist Mitternacht. Der Koffer ist gepackt, der Wecker gestellt. Noch fünf Stunden, bis mein Zug zum Flughafen fährt. Ich habe keine Zeit mich um etwas anderes zu kümmern. Das war’s dann wohl mit Meerblick. Gleich darauf erhalte ich eine SMS: „Ich gebe dir ein anderes Hostel. Komm um 3 Uhr an die Straßenecke Piazza San Domenico“, schreibt Salvo Nachname-Unbekannt.

Aus diesen Zutaten mache ich sofort Kopfkino in HD-Qualität: Dramatische Musik, eine mit Palmen bewachsene Straße, zwischen streunenden Katzen und vollen Mülleimern steht ein einsames Mädchen mit Koffer, dass man unter falschen Versprechungen hier her gelockt hat. Eine dunkle Limousine fährt vor. Zwei Männer in feinen italienischen Schuhen und Maßanzügen steigen aus und zerren das Mädchen in das Auto. Der Koffer bleibt an der Straßenecke stehen. Palermo, Mafia und so. Falls sie mich wirklich kidnappen ist wenigstens das Essen gut, denke ich. Ist schließlich Italien.

Falls sie mich kidnappen, ist wenigstens das Essen gut

Ich schreibe eine SMS zurück. „Was ist der Name von dem neuen Hostel und was ist die Adresse?“ Doch natürlich ist Salvo auf einen Schlag nicht mehr zu erreichen. Ich verbringe einige Zeit damit fassungslos auf mein Handy zu starren, das ohne Antwort bleibt.

Mein Blick zur Uhr zeigt mir noch vier Stunden Schlaf. Falls ich sofort ins Bett gehe. Also siegt der innere Schweinehund gegen das innere Ministerium für Sicherheit und Ordnung. Ein schneller Blick auf Googlemaps zeigt, dass in der Altstadt noch viele Hostels zu finden sind. Ich schreibe mir für den Fall der Fälle eine Telefonnummer und Adresse auf. Da ich bereits eine Anzahlung gemacht habe, beschließe ich dennoch dem Piazzo San Domenico eine Chance zu geben. Wenn ich etwas fischiges rieche, bin ich frei, davon zu marschieren und mir etwas anderes zu suchen. Nur in ein Auto werde ich auf keinen Fall einsteigen.

pEtwas zermatscht steige ich in Palermo aus dem Bus, der mich vom Flughafen in das Zentrum gekarrt hat. Es ist heiß und ich habe Gepäck und Hunger. Und es ist heiß, habe ich das schon erwähnt?

Der Piazzo erweißt sich als belebt und ich lache über mich und meine Mafia-Fantasien. Dann erscheint ein Mann mit einem Moped. Das ist Salvo. Er trägt seine Haare schulterlang und sein Hemd aufgeknöpft. Er ist klein und hat einen Kugelbauch. Ich schiele misstrauisch zu dem Moped. Wenn er mich damit irgendwo hinfahren will, kann  er gleich wieder umdrehen. Doch es kommt besser.

Ein Palazzo aus dem 14. Jahrhundert

„Folge mir!“, sagt Salvo und ich folge ihm zögernd, während er in Schrittgeschwindigkeit  auf seinem Moped durch die enge Straße fährt. Die Straße ist kaum mehr als drei Meter breit. Links und rechts verkaufen die Einheimischen Porzellan, Ansichtskarten und Nippes, in der Mitte drängen sich deutsche Gymnasiallehrer mit teuren Kameras. Wir halten vor einem unscheinbaren Hauseingang.

„Ein echter Palazzo aus dem 14. Jahrhundert“, sagt Salvo. „Wir sind gerade dabei ihn zu renovieren.“ Er führt mich durch katakombenartige kühle Flure in den dritten Stock, überall stehen Leitern und Stützbalken, weil sie gerade den Marmor erneuern.

Der Palazzo ist cool. Ich habe ein eigenes Zimmer und einen niedlichen Balkon, von dem aus ich heimlich die Leute beobachten und abends die Live-Musik vom Restaurant hören kann. Aber der Palazzo ist auch einsam und unheimlich, ohne W-LAN und ohne Rezeption, an der ich fragen kann, wie ich am Donnerstag um 4 Uhr morgens zum Flughafen komme.

Nach zwei Tagen beschließe den Palazzo zu verlassen, wie man einen Liebhaber verlässt, den man auf eine Art gern hat und dennoch weiß, dass man etwas besseres haben kann. Ich habe 7 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken und eine ganze Wassermelone in der Handtasche. Plus Messer.

Ich versuche nun mein Glück bei dem Hostel, dessen Adresse ich mir noch in Deutschland aufgeschrieben habe. Und tatsächlich: ein ZimmerIMG_2410 ist noch frei. Pech nur, dass die Damen kein Englisch verstehen und zudem ständig in irgendwelchen Zimmern verschwunden sind, wenn man sie braucht. Mein Italienisch ist ausreichend, um zu verstehen, dass die Frau meinen Pass möchte um die Personalien einzutragen, und dass ich das Bad immer abschließen soll, weil es nur meines ist. Aber mein Italienisch ist nicht ausreichend, um komplexe Fragen zu verwirrenden Busfahrplänen zu stellen. Ich packe mein Handtuch ein und schaffe es dennoch bis zum Meer.

Ein Schlüssel zu wenig

Am Abend kehre ich leicht gerötet zurück vom Strand. Die Wassermelone ist zu gerechten Teilen aus meiner Tasche in meinen Magen und den Mülleimer gewandert.  Ich krame nach meinem Schlüsselbund. Hinter mir braust ab und zu ein Moped vorbei, die Hitze liegt noch immer in der Luft. Auf der anderen Straßenseite lungert eine aufgedonnerte Frau, von der ich nicht weiß ob sie auf den Bus oder einen Freier wartet. Ich drehe den ersten Schlüssel im Schloss – er passt nicht. Ich versuche es mich dem zweiten. Und dem dritten. Ich habe fünf Schlüssel an meinen Schlüsselbund und mit keinem lässt sich die verdammte Tür öffnen!

„Buoanasera, Signora!“, sagt eine Stimme und ich schrecke zusammen, aber es ist nur ein harmloser Passant, der mir einen guten Abend wünscht. Ich lehne mich leicht genervt gegen die Haustür und es bleibt mir nichts als durchzuatmen, meine Fingernägel zu säubern und zu warten. Zu warten auf irgendwas.

Meine Rettung ist das Pärchen, das aus dem Bus steigt. Der junge Mann hat einen altmodischen, langen Schlüssel an seinem Bund, mit dem er jetzt die große Tür aufschließt. So etwas habe ich nicht, aber ich drücke mich hinter den beiden in den Hausflur. Sie werfen mir einen Blick zu, aber ich lächle mein Unschuldslächeln und sie lächeln zurück. Jetzt bin ich in meinem Zimmer, aber ich kann nicht wieder hinausgehen ohne das Risiko einzugehen, heute Nacht nicht mehr hinein zu kommen. Ich beruhige meinen Magen mit Schokokeksen und verbringe den Abend damit, mir Italoschnulzen im Fernsestadthen anzuschauen.

Reggae aus dem Off

Wenigstens gibt es hier W-LAN. Es ist definitiv Zeit für eine neue Unterkunft. Ich browse durch das Web und finde ein günstiges Hostel in derselben Straße, doch dieses Mal lese ich mir die Erfahrungsberichte genauer durch. Eine Arbeit, die man vielleicht besser zu Hause macht, aber wenn man seinen Flug spontan für den nächsten Morgen bucht, bleibt dafür eben keine Zeit. „Das Personal ist unfreundlich“ werde ich gewarnt, „Es gibt Kakerlaken“ und „man erhält keinen eigenen Zimmerschlüssel und muss das Personal jedes Mal bitten die Tür zu öffnen, wenn man auf Toilette war“. Ich lese noch etwas von Diebstählen und Polizeieinsätzen und beschließe mir vielleicht doch etwas anderes zu suchen.

Das nächste Hostel, das ich finde, klingt vielversprechender. Ich rufe an und reserviere für den nächsten Tag – nicht, dass mir jetzt noch etwas dazwischen kommt. Glücklich lasse ich meinen Schlüsselbund, an dem mir das wichtigste fehlte, auf der Kommode zurück und mache mich auf zum Hostel Casa die Amici – Haus der Freunde. Das Casa Amici liegt ein ganzes Stück entfernt. Und mir ist schon wieder heiß. Übermotiviert renne ich fast an dem Hauseingang vorbei und als ich dann an der Rezeption stehe, atme ich tief durch: Das ist das Hostel, von dem ich die ganze Reise geträumt habe. Im Hintergründ läuft Reggae-Musik, das Publikum ist jung und frisch, ebenso wie die Mitarbeiter, im Aufenthaltsraum stehen afrikanische Trommeln und ein schwarzes Brett, an das man seine Reisetipps heften kann. Morgen muss ich nach Hause fliegen. Warum, verdammt noch eins,  bin ich hier nicht früher her gekommen?

 

 

 

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